1 Jahr Energiegemeinschaft Grätzl Energie – Michaela Turetschek & Roland Kuras im Interview

Am 29. Juni 2021 wurde Wiens erste lokale und unabhängige Erneuerbare Energiegemeinschaft (EEG) auf Initiative von power solution gegründet: Die „WGE – Grätzl Energiegemeinschaft“. Anlässlich des ersten Jubiläums haben wir Michaela Turetschek, Projektleiterin der Grätzl Energie sowie den Mitbegründer und Vorstandsmitglied Roland Kuras zum Interview gebeten. Ein Gespräch über die Herausforderungen und Ereignisse des letzten Jahres, aber auch zukünftiger Ziele für die Grätzl Energie.

Wie steht es aktuell um die Grätzl Energie, Frau Turetschek?

Michaela Turetschek: Die Grätzl Energie zählt heute knapp 50 Mitglieder im 23. Wiener Gemeindebezirk. Drei Produzent/innen, u.a. der Betrieb W. A. Richter’s Söhne GmbH, mit großflächig konzipierten PV-Anlagen versorgen die Mitglieder seit einigen Wochen mit lokal produzierter Energie. Ende August kommt eine weitere Anlage dazu: Auf dem Dach von power solution wird eine 31,5 kWp PV-Anlage errichtet. Nach dem Sommer wird das Grätzl Fest veranstaltet, das sollte sich niemand entgehen lassen!

Hat sich das Bewusstsein für Energiegemeinschaften bei Unternehmen oder Privatpersonen in den letzten Monaten Verändert?

Roland Kuras: Was wir in Liesing seit einem Jahr in Bezug auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende beobachten, ist wirklich erstaunlich. Endlich sehen wir in der Praxis das, was in den letzten Jahren vielfach theoretisch diskutiert wurde: Durch die Nähe und direkte Verbindung zur Energieproduktion haben die Bürger/innen eine viel höhere Akzeptanz gegenüber dem Thema. Die Energiewende wird nicht mehr nur mit Verzicht in Verbindung gebracht. Es ist greifbarer, wenn lokal produzierte Energie auch lokal genutzt wird. Gerade in diesen Zeiten wird den Menschen auch bewusst, dass eine Energiegemeinschaft mehr Preis-, aber auch mehr Versorgungsstabilität bieten kann.

Welche Herausforderungen musste die Grätzl Energiegemeinschaft im vergangenen Jahr aus dem Weg räumen?

Michaela Turetschek: Das Konzept einer EEG war Anfangs für uns alle neu. Gerade in den ersten Monaten war es schwierig, die Verbrauchsdaten der Konsument/innen zu erhalten, um die Abrechnung durchzuführen. Aber hier war der Austausch mit den Netzbetreibern sehr hilfreich, denn so konnten Fehler behoben werden. Aktuell kommt hinzu, dass Erzeuger/innen mit einer eigenen Anlage überschüssige Energie aufgrund der Engpässe und hohen Preise gewinnbringend ins Netz einspeisen können. Dadurch wird die Akquise von Prosumer/innen (= Mitglieder, die eine eigene Erzeugungsanlage haben) zunehmend schwieriger. Die Grätzl Energie möchte dieses Problem durch eine Investition über eine Genossenschaftsstruktur lösen. Diese Art der Finanzierung über 20 Jahre ist im Vergleich zu einer privatwirtschaftlichen Finanzierung von maximal 10 Jahren zielführender.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Grätzl Energie?

Michaela Turetschek: Das Ziel der Grätzl Energie ist klar: Wachstum. Wir möchten mehr Mitglieder für die Grätzl Energie gewinnen, vor allem auch jene, die bereits eine Erzeugungsanlage haben oder Dachflächen zur Verfügung stellen können. Besonders im 23. Bezirk gibt es viele ungenutzte Dächer. Als nächstes integrieren wir einen Energiespeicher. Dadurch steigt der Autarkiegrad noch einmal und es kann mehr Strom innerhalb der Gemeinschaft verbraucht werden. 2023 möchten wir dann auch eine Produktion von 1000-1200 Kilowatt-Peak erreichen.
Roland Kuras: Ich wünsche mir, dass insbesondere Unternehmen offener dafür werden, als Produzent/innen ihr Dach oder ihre PV-Anlage für eine EEG zur Verfügung zu stellen. Es gibt so viele ungenutzte Dachflächen, die man für erneuerbare Stromerzeugung nützen könnte. Aber wir brauchen nicht nur Produzent/innen, sondern auch Verbraucher/innen, die diesen Strom auch nutzen. Dafür braucht es noch mehr Vertrauen der Menschen in EEGs. Aber fast wichtiger ist ein stabiles, kontinuierliches Wachstum der Grätzl Energiegemeinschaft. Wenn wir all unsere Ziele so umsetzen könnten, wie wir uns das vorstellen, würde ich unsere Energiegemeinschaft noch sozialer nutzen wollen. Wie der Name schon sagt ist es eine Gemeinschaft, und davon sollte jeder profitieren. Es gibt viele Menschen, die gerade seit der Corona Pandemie große Schwierigkeiten haben, die immer höher werdenden Strompreise zu schultern und ihre Rechnungen fristgerecht zu bezahlen. Vielleicht können wir hier in Zukunft eine Entlastung mit Hilfe der Grätzl Energiegemeinschaft schaffen.

Welches Resümee ziehen Sie aus einem Jahr Grätzl Energie?

Roland Kuras: Wie wichtig der Zusammenhalt einer Gemeinschaft ist. Wir haben sehr engagierte Mitglieder, die uns auf Probleme und Schwachstellen aufmerksam machen, die wir dann gemeinsam aus dem Weg räumen. Hier zeigt sich das große Potential von EEGs, das man viel mehr ausschöpfen sollte. Wie unser Slogan schon sagt: „miteinander füreinander“.
Michaela Turetschek: Es ist nicht einfach, eine EEG umzusetzen, aber es lohnt sich! Wir alle leisten damit unseren Beitrag zur Klimawende und arbeiten täglich für eine bessere und nachhaltigere Zukunft. Das macht mich stolz und ist all die Arbeit wert.

Quellen und weiterführende Links:

https://www.graetzlenergie.wien/